Freitag, 31. August 2018

20 Dinge die ich auf Radtour gelernt habe

-die richtige Radbrille kann Nackenschmerzen verhindern
Fährt man in einer vorgebeugten Sitzposition und der obere Brillenrand liegt im Sichtfeld, muss man den Kopf stärker in den Nacken legen. Schließt die Brille höher ab und/ oder hat keinen oberen Rand ist das nicht nötig und der Nacken verspannt auch bei sportlich vorgebeugter Fahrweise weniger

-Ein klassisches, buntes Baumwolltaschentuch/ Halstuch trocknet im Fahrtwind schneller als ein vergleichbar großes Funktionshandtuch aus Kunstfaser.
Und es taugt natürlich nicht nur als minimalistisches Handtuch, sondern auch als kleine Picknickdecke, mit Wasser getränkt als Kühlverband, als Schweißtuch, als Staubtuch im Cowboystyle, als Lappen um das Zelt trocken zu wischen, als Aufbewahrungrolle für Taschenmesser und Löffel, und... und... und...

-Auch bei über 30 Grad lohnt es sich die warme Kunstfaserjacke auszupacken.
Selbst wenn entgegenkommende, bergauffahrende Radler mit freiem Oberkörper unterwegs sind, kann es für den bergabfahrenden Radfahrer durch den Fahrtwind empfindlich kalt werden. Grade bei sehr langen und schnellen Abfahrten, können Armlinge und Windjacke manchmal schon knapp bemessen sein.

-auch bei heißem Wetter lohnt es sich ein Unterhemd unter dem Trikot zu tragen
Vor allem wenn es ein Unterhemd aus Naturfaser und Netzstruktur ist. Ist das Trikot z.B. gegen den Fahrtwind oder die Morgenkälte geschlossen bildet das Unterhemd eine wärmende Luftschicht. Ist das Trikot geöffnet kann der Wind durch die Netzstruktur des Unterhemdes ungehindert durchwehen und man hat durch die Feuchtigkeit in der Naturfaser eine super Kühlung. Und dank der Naturfaser stinkt das Hemd nicht so schnell und auch das Trikot aus Kunstfaser bleibt länger frisch.

-eine Radhose reicht
Man stirbt nicht gleich wenn man die selbe Radhose zwei Tage hintereinander trägt. Und wenn man die Hose oder zumindest das Sitzpolster abends wäscht, ist sie in aller Regel am nächsten Tag auch wieder trocken.

-Radhandschuhe können Reifendefekte verhindern
Radhandschuhe können je nach Modell nicht nur empfindliche Bereiche der Hand polstern oder Verletzungen beim Sturz reduzieren. Fährt man durch Split kann man diesen auch während der Fahrt mit einem beherzten Griff auf den Reifen wieder abstreifen.

-man braucht keinen Schlafsack
Es reicht auch warme Kleidung, wie eine dicke Jacke, auch wenn es sich zunächst ungewohnt anfühlt wenn man sich nicht zudecken kann.

-Socken beim Schlafen sind sexy
Ok, das mag jeder für sich selbst entscheiden. Was aber auf jeden Fall zutrifft ist das sie den Füßen helfen sich nachts zu erholen. Es sollten logischerweise nicht die durchgeschwitzten, regennnassen Socken vom Tag sein sondern ein extra Paar "Schlafsocken". Dafür sollten die Socken nicht zu eng sitzen und möglichst aus Naturfasern sein. Die strapazierte Haut kann so besser regenerieren. Die Füße kann man zusätzlich vorher noch eincremen und die Socken verhindern, dass man den Schlafsack (wenn man denn einen nutzt) damit einsaut. Das gilt gleichermaßen für Radfahrer wie Wanderer.

-Man braucht auf Tour nicht unbedingt eine Kochausstattung.
Insbesondere wenn man regelmäßig Nachschubmöglichkeiten hat kann man auf Trockennahrung und Kochen und damit auf eine umfangreiche Küchenausstattung verzichten. Das spart nicht nur Gewicht, es spart vor allem Platz im Gepäck. Und Möhren, Dosenbohnen, Linsen, Brot, Obst, Riegel, Couscous, Kekse, etc. bringen einen auch über die Alpen.

-Instantkaffee taugt nicht nur als heißer Kaffee
Man kann ihn natürlich auch ganz simpel kalt aufschütten. Oder man nutzt ihn um seinen frisch gekauften Joghurt oder Pudding zu pimpen, streut ihn in sein Müsli oder in den Obstsalat, rührt sich mit etwas Wasser einen Brotaufstrich zurecht oder..., oder...., oder...

-Piniennadeln sind super um Dreck aus der Fahrradkette zu popeln
Oft genug finden sich vor Ort Dinge die man zweckentfremden kann. Der Stein um den Zelthering in den Boden zu drücken ist dabei wohl der Klassiker.

-Pflege Dich und dein Rad
Es geht hier gar nicht mal ums gut aussehen oder weniger riechen. Aber grade wenn man den ganzen Tag im Sattel sitzt, sollte man sich in dem Bereich darum kümmern, dass das Salz vom Schwitzen einen nicht wundreibt. Führ das Rad gilt das Selbe. Wenn man sich auch auf Tour regelmäßig darum kümmert, dass die Reifen frei von Split sind, die Kette und der Antrieb frei von altem Dreck, die Bremsen staubfrei sind und alle Schrauben auf festen Sitz kontrolliert, vermeidet man erhöhten Verschleiß und den ein oder anderen unnötigen Defekt.

-mit Klettbändern kann man zaubern
Bindet man eins um den Bremsgriff kann man das Rad selbst im Hang parken ohne das es wegrollt. Man kann damit Sachen am Rad verstauen wo es sonst keine Möglichkeit für gibt. Etwa ein Ersatzschlauch plus Reifenheber auf dem Oberrohr. Und man kann damit natürlich auch einfach Sachen beim Trocken, egal ob auf dem Rad oder der Wäscheleine, am Wegfliegen hindern.

-Packbeutel aus Netz sind eine gute Alternative zu wasserdichten Packbeuteln.
Das gilt insbesondere wenn man die Ausrüstung sowieso in komplett wasserdichten Taschen verstaut. Beim Packen muss man keine Luft aus den Beuteln drücken. Sind die Sachen im Beutel noch feucht, kann man den Beutel einfach außen transportieren und die Sachen können weiter trocknen. Insbesondere Kleinteile wie Socken, Handtuch oder Zahnbürste kann man so auch während der Fahrt außen zum Lüften ans Rad schnallen ohne das man befürchten muss, dass sie wegfliegen. Der Inhalt der Beutel fängt auch nicht mit der Zeit an muffig zu riechen. Ein großer Netzbeutel mit Schlaufen an beiden Enden kann unterwegs auch mal quer vor den Lenker gebunden werden um den letzten Einkauf zu verstauen und ist auch während der Fahrt recht gut zu erreichen.

-Auf dem Rad ist Volumen wichtiger als Gewicht
Natürlich macht es einen Unterschied wie schwer beladen ein Fahrrad ist, insbesondere wenn man Berge hochfährt. Aber leicht schwerere Ausrüstungsteile, die sich aber kompakter verstauen lassen haben grade auf dem Rad ihre Vorteile. Eine komprimierbare Isomatte ist z.B. schwerer aber im Packmaß kleiner als eine aus Schaumstoff. Wenn man das bei seiner gesamten Ausrüstung berücksichtigt, reichen kleinere und/ oder weniger Taschen am Rad. Dadurch wird das Rad windschnittiger und die Fahreigenschaften verbessert.

-Aerodynamik ist auch für Radtouren wichtig
Ich geh sogar soweit zu behaupten, dass Aerodynamik teils wichtiger ist wie Gewicht. Dabei ist neben dem Rad selbst, das oft den geringsten Effekt auf die Windschnittigkeit hat, neben der Anordnung des Gepäcks vor allem auch der Fahrer selbst zu berücksichtigen. Moderne Bikepackingtaschen sind in der Regel schon recht windschnittig positioniert. Wobei eine Frontrolle am Lenker etwas mehr bremst, eine längliche Satteltasche nach Untersuchungen im Windtunnel dagegen sogar einen positiven Effekt auf die Aerodynamik haben kann, wenn sie wie ein Spoiler wirkt. Gut 2/3 des Windwiderstandes sind aber auf den Fahrer selbst zurückzuführen. Wenn ich also Strecke machen möchte oder grundsätzlich eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit fahren will, ist enge Bekleidung vorteilhaft. Auch die Sitzposition hat natürlich Einfluss. Am deutlichsten wird das natürlich bei Gegenwind. Aber auch bei Abfahrten und gerader Strecke vergeudet man unnötig Energie wenn das gesamte Gefährt und man selbst als riesiger Windfang unterwegs ist.

-schmalere Reifen sind nicht unbedingt schneller
Grade auf Tour ist es unterm Strich wichtiger mehr Zeit im Sattel zu verbringen, als kurzfristig Höchstgeschwindigkeiten zu fahren. Fahre ich beispielsweise 6 Stunden mit 25 km/h schaffe ich am Tag 150 km. Kann ich aber zwei Stunden länger bequem im Sattel sitzen komme ich selbst bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nur 20 km/h ganze 160km weit. Das heißt, über mehrere Tage verteilt erreiche ich mein Ziel so früher. Ein etwas breiterer Reifen bietet durch die bessere Dämpfung und die Möglichkeit ihn mit weniger Luftdruck zu fahren höheren Komfort. Dadurch kann man auch länger im Sattel bleiben. Die Wahrscheinlichkeit eines Platten ist auch etwas geringer wodurch man im Zweifelsfall auch länger am Rollen bleibt.

-Das Cockpit sollte Wohnzimmer und Küche zugleich sein
Man sollte den Bereich seines Lenkers so einrichten, dass man sich wohlfühlt. Das bedeutet nicht nur eine bequeme Griffposition ermöglichen, sondern auch alles Nötige leicht erreichbar haben. Neben Offensichtlichem wie Bremse und Schaltung gilt das natürlich auch für die Navigation, egal ob Karte, GPS oder Handy. Aber es ist auch von Vorteil und ein nicht zu unterschätzender Sicherheitsaspekt, wenn das auch für die Lichtanlage gilt. In den Alpen war ich froh, dass ich bei diversen Tunneln, dunklen Baumalleen und stark befahrenen Straßen nur einen Knopfdruck am Lenker brauchte um Front- und Rückscheinwerfer anzuschalten. Eine kleine Tasche am Oberrohr erlaubte es mir eine Powerbank zu transportieren und so auch das Handy und mein GPS während der Fahrt zu laden ohne das ich sie dafür aus ihren Halterungen nehmen musste. Und neben den Wasserflaschen konnte ich auch diverse Sachen zum Essen problemlos im Fahren erreichen und musste nicht für jede Kleinigkeit immer stoppen.

-Egal was für ein Rad Du fährst, grüß andere Radfahrer!
Mir war es egal ob es Rennradler, Mountainbiker, Leute auf Stadträdern, Radreisende oder eBiker waren, ich habe zumindest freundlich genickt oder kurz mit der Hand gewunken. Mal ganz abgesehen davon, dass es meiner Meinung nach höflich ist und zum guten Ton gehört, haben sich dadurch dann oft genug nette Gespräche ergeben. Und mehr als einmal habe ich dadurch einen Begleiter gefunden mit dem man sich den Windschatten geteilt hat. Einmal sogar über 40km weit! Radfahren verbindet.

-man braucht kein Highend Fahrrad für eine Tour
Auch wenn ich unterwegs viele Rennradfahrer auf ihren Hochgeschwindigkeitsgeschossen aus Carbon getroffen habe, oder Reiseradler auf ihren Rädern mit Pinion-Getriebe und Carbonriemen-Antrieb, war ich mit meinem preislich günstigen Alurad mehr als zufrieden. Und ich hab auch andere Radler auf älteren, wild zusammengeschusterten Stahlrädern gesehen, die mit normalen Wanderrucksäcken auf dem Rücken unterwegs auf Tour waren. Am Ende zählt doch nicht das "wie weit" oder das "wie schnell" sondern nur ob man Freude an dem Erlebten hat.



Donnerstag, 30. August 2018

Road to Nizza

Am 19. August schloss ich die Haustür hinter mir ab, setzte mich auf mein Fahrrad und fuhr los. Mein Ziel: das Mittelmeer. Ob ich es erreichen würde lag für mich bis dahin noch völlig im Ungewissen. Dies war die bisher längste und anspruchvollste  Route die ich auf einem Fahrrad zurücklegen wollte. Die Strecke führte von Bonn durch die Eifel, Luxemburg, rüber nach Frankreich. Dann vorbei an Metz, Nancy, Besancon, rüber zur Schweiz entlang am Genfer See, durch Genf und wieder zurück nach Frankreich. Die Route führte an Annecy vorbei und durch die Alpen. Dabei ging es über so bekannte Pässe wie den Col du Telepgraph, Col du Galibier und nach Briancon über den Col de la Bonette durch die französischen Seealpen und runter ans Meer nach Nizza. 8 Tage später und nach 1162 km, 15863 Höhenmetern und 54 Stunden und 2 Minuten reiner Fahrzeit rollte ich in den Hafen von Nizza, meinem geplanten Ziel.

DIES IST KEIN REISEBERICHT

Denn dazu hätte das ganze eine Reise sein müssen. Ok, nach gängiger Definition würde auch diese Tour unter den Begriff "Reise" fallen. Jedoch fühlte ich mich auf meinem Rad stets wie zuhause und auch wenn ich die Nächte im Zelt verbrachte hatte das Ganze doch eher den Charakter einer längeren, sportiven Radausfahrt. Es würde sich irgendwie nicht richtig anfühlen jede Straßenkreuzung, die Schotterpassagen, Waldwege, die steilen und langen Pässe und die vielen kleinen Dörfer am Weg zu beschreiben. Denn es waren weniger die visuellen Eindrücke die davon in mir haften blieben als die Emotionen die ich dabei verspürte, wenn ich dort entlangfuhr.
Auf Twitter habe ich unter #roadtonizza (LINK zu Twitter) sozusagen live von der Tour berichtet. Und auf Strava findet man meine Streckenaufzeichnung:
Etappe 1
Etappe 2
Etappe 3
Etappe 4
Etappe 5
Etappe 6
Etappe 7
Etappe 8

Aber nichts davon kann das wirklich wiederspiegeln was diese Fahrt in mir angestoßen hat. Nach vielen Besuchen und Urlauben in Frankreich habe ich das Land und die Leute dort nochmal komplett anders kennengelernt. Als Radfahrer unterwegs in der Radsportnation Frankreich fährt man offene Türen ein.
Und ich habe mich nochmal neu kennengelernt.
Der Moment als ich nach wenigen Tagen schon die Schweizer Grenze passierte machte mir bewusst wie weit ich bereits gekommen war. Und als ich Nizza nach bereits so kurzer Zeit erreichte und die Tage Revue passieren ließ dämmerte mir langsam was ich da soeben geschafft hatte und was alles noch möglich wäre.
Und damit meine ich nicht 5 Grad kalte Pässe in kurzer Hose zu überqueren oder die Nächte nur in einer warmen Jacke statt einem richtigen Schlafsack zu verbringen. Auch meine ich damit nicht, auf die typische Kochausstattung zu verzichten und sich mit kalter Küche zu begnügen oder sogar die ersten 50km des Tages mit leerem Magen zu strampeln. Das für so eine Radtour nur eine Radhose reicht, haben auch schon andere vor mir festgestellt. Und das sich unterwegs (fast) alles irgendwie improvisieren oder organisieren lässt ist auch kein Geheimnis. Aber obwohl ich schon vor über 30 Jahren das Radfahren gelernt hatte und seitdem immer ein Fahrrad besessen habe, habe ich wohl erst mit dieser Tour seine Möglichkeiten wirklich begriffen:
Fahrräder sind gefährlich! Wenn Du Dich auf ein Fahrrad setzt könnte es Dich überall hinbringen.