Montag, 23. August 2021

Lastenrad

Grade kocht das Thema Lastenradförderung bzw. Lastenräder im Allgemeinen in den sozialen Netzwerken hoch. Auslöser dazu war der Vorschlag von Bündnis 90/ die Grünen einer bundesweiten Lastenradförderung von bis zu 1000€. Ich war erst etwas hin und hergerissen ob ich mich dazu äußern sollte, bzw. ob es mit einem schnell vergänglichen Tweet damit getan wäre. Immerhin besitze ich selber kein Lastenrad und sehe dafür in meiner aktuellen Lebenssituation auch bei mir keinen Bedarf.

Dass sie selber keinen Mehrnutzen für sich an einem Lastenrad erkennen, trifft aber auch auf viele andere Menschen zu, was sie dann jedoch nicht davon abhält sich dazu zu äußern und ihre Position als allgemeingültig zu verbreiten. Das finde ich schade, weil es in meinen Augen schlichtweg zu kurz gedacht ist. Daher möchte ich hiermit auch mal meine Gedanken zu dem Thema teilen.

Von den Kritikern wird häufig bemängelt, dass ohne ausreichende Infrastruktur Lastenräder sinnlos seien. Merkwürdigerweise kaufen auch viele Menschen dicke SUVs obwohl die Infrastruktur der Städte auf diese Art der Fahrzeuge nicht ausgelegt ist. ;-)

Ok. Ich versuche mal ernst zu bleiben. Grundsätzlich ist es richtig, dass die aktuelle Situation auf unseren Strassen nicht optimal für Radverkehr im allgemeinen ist und es deutliche Veränderungen braucht um die Infrastruktur für Radfahrende sicher, zuverlässig und komfortabel zu machen. Ist das damit ein Gegenargument gegen Lastenräder? Ich finde nicht. Vielmehr zeigt es doch, dass es mehr als nur eine Baustelle gibt die man im Blick behalten sollte. Und mehr Radfahrende, egal mit welchem Rad sie unterwegs sein mögen, würden über kurz oder lang auch den Druck auf die Politik erhöhen die Infrastruktur diesbezüglich zu verbessern. Ähnlich wie es die Autolobby seit Jahrzehnten mit dem Ausbau von Autobahnen hierzulande gemacht hat.

Wer damit argumentiert solche Förderungen würden grundsätzlich nichts bringen, der sollte eventuell nicht zuerst diese bisher noch nicht beschlossene Lastenradförderung, die im Bundeshaushalt von der finanziellen Höhe eher vernachlässigbar wäre, kritisieren. Da gäbe es durchaus andere Massnahmen die man sich anschauen sollte. E-Autos werden aktuell mit 9000€ bezuschusst, wobei die Autoindustrie schon seit Jahrzehnten durch massive Subventionen gefördert wird. Und von den Millliarden Subventionen an Kohle- und Atomstrom möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen. Verkehrswende um den Klimawandel zu bremsen? Ich würde dankend auf die diversen Förderprogramme bei Fahrrädern wie Jobrad, eRad-Förderung oder Lastenradförderung verzichten, wenn zeitgleich auch alle Förderungen und Subventionen an Kohlestromprduzenten und den auf fossile Kraftstoffe basierenden Automobilbereich umgehend eingestellt würden.

Ein anderer Kritikpunkt ist der, dass viele Menschen für sich selbst keinen Mehrnutzen in einem Lastenrad für erkennen. Da muss ich wohl bedingt zustimmen, da wir nicht alle die selben Lebenssituationen haben. Doch das muss ja eben nicht auf jeden zutreffen.

Für mich selber würde sich weder ein Lastenrad noch ein Kfz lohnen. Ich habe das Glück, dass ich in einer Großstadt lebe. Ich habe eine relativ gute Anbindung an den ÖPNV mit regelmäßigen Verbindungen nach Köln zu meiner Arbeit.
Hier vor Ort sind alle Geschäfte für mich problemlos in max. 5 Minuten fußläufig erreichbar.

Das war aber nicht immer so. Früher habe ich in einer eher ländlich geprägten Kleinstadt gelebt.
Zu Fuß zum Supermarkt brauchte ich knapp 20 Minuten, mit dem Auto fünf. Die meisten Einkäufe versuchte ich zu Fuß zu erledigen, jedoch grade bei größeren Besorgungen für den eigenen Haushalt oder die Arbeit wurde dann das Auto genutzt. Selbst größere Satteltaschen am Rad wären dann einfach überfordert gewesen.
Aber es wäre ein ideales Szenario für ein Lastenrad gewesen. Knapp 10 Minuten Fahrzeit. 2 Getränkekästen und Großeinkauf. Anschließend vielleicht noch zum außerhalb gelegenen Biohof ein paar frische Lebensmittel besorgen.
Wären Lastenräder damals schon so gut verfügbar gewesen wie sie es heutzutage sind, hätten wir wahrscheinlich über einen Kauf nachgedacht. Allerdings hätte so ein Rad für uns damals auch eine gewisse finanzielle Investition bedeutet. Mit einer Lastenradprämie wäre der Kaufentschluss deutlich leichter gefallen. Und wir hätten dadurch unser Auto viel öfter stehen gelassen weil wir schlichtweg nicht mehr so davon abhängig gewesen wären.

Heute lebe ich in Bonn. Die Lastenraddichte ist im Vergleich zu anderen Städten recht hoch. Und das trotz der leider oft noch mangelhaften Infrastruktur. Das hält die Menschen hier aber nicht davon ab ihre Wege mit dem Rad zu erledigen, ist es doch dennoch oft schneller als mit einem Kfz sich seine Weg durch die Innenstadt zu bahnen und einen Parkplatz zu finden. Die Lastenräder die ich dabei sehe werden teils geschäftlich genutzt. (Ein Supermarkt liefert ausschließlich damit die Bestellungen an seine Kunden aus. Aber es sind auch Handwerker und andere Geschäftstreibende damit unterwegs. Es gibt sogar einen Therapiehund der per Lastenrad unterwegs zu seinen "Geschäftsterminen" ist!) aber es sind vielmehr Menschen unterwegs die damit ihre Kinder transportieren, die Einkäufe auf dem Wochenmarkt oder in den Geschäften erledigen, Ausflüge machen oder ganz allgemein einfach ihrem täglichen Leben nachgehen.

Wenn man angesicht des immer schneller voranschreitenden Klimawandels eine Verkehrswende zu nachhaltigeren und klimafreundlicheren Verkehrsmitteln als notwendig erachtet, dann sollte meiner Meinung nach an allen Stellschrauben gedreht werden die uns zur Verfügung stehen. Eine Lastenradförderung mag vielen dabei nur wie ein schlecht gezielter Tropfen auf den heißen Stein erscheinen. Aber es ist eine Stellschraube die wir schnell angehen könnten und die den Alltag vieler Leute durchaus verändern könnte.

Montag, 27. Mai 2019

Ich bin kein Radrennfahrer - das Race around the Netherlands #RATN

Ich bin kein Radrennfahrer. Das ist eine Erkenntnis die sich bei mir in den letzten Wochen verfestigt hat. Wer mein Strava-Profil kennt wird sich jetzt vielleicht etwas wundern. Immerhin bin ich in der Regel recht flott, viel und lang unterwegs.
Vielleicht sollte ich mit einem kleinen Rückblick anfangen...

Am ersten Mai startete das Race around the Netherlands. Ein Bikepacking-Rennen das komplett als Selbtversorgerrennen (keine Streckenposten, keine Versorgungsfahrzeuge, keine Etappenunterteilung) in einem Rutsch rund um die Niederlande führt. Für mich nicht nur das erste Bikepacking-Rennen sondern mein erstes Radrennen überhaupt. Und mit insgesamt knapp 1900 km am Stück für mich auch die längste Distanz die ich je gefahren bin. Dienstags um acht Uhr in Amerongen standen rund 150 Radfahrer beim Cafe und Radtreff "de Prolog" am Start.
Sechs Tage 10 Stunden und 53 Minuten später habe ich den Rundkurs erfolgreich gefinished.

Soviel erstmal zu den nüchternen Zahlen. Das Rennen bzw. die gesamte Veranstaltung hier minutiös mit all seinen Eindrücken wiederzugeben würde deutlich den Rahmen sprengen. Vieles muss sich selbst mit etwas zeitlichem Abstand immer noch etwas setzen. Zu vielfältig waren die erlebten Momente und das was mich vor und nach dem Rennen beschäftigt hat. Ein paar Erlebnisse und Gedanken möchte ich dann aber doch mit Euch teilen. Seht es als kleine Auszüge einer großen Geschichte, die in ihrer Gänze vielleicht mal bei einem gemeinsamen Bier erzählt wird. Vielleicht könnte man sie "Das #RATN - Was ich dorthin mitgenommen habe und was ich von da zurückgebracht habe" nennen...

Der Beginn des Race around the Netherlands war sozusagen auch mein einjähriges Jubiläum seit ich mit dem sportlich ambitionierten Radfahren begonnen habe. Vorher bin ich zwar schon mal mit dem Rad zur Arbeit gependelt oder einfach zur nächsten Eisdiele. Aber größere Touren oder sportliche Herausforderungen waren bis dahin immer Dinge die ich zu Fuß, ohne Rad, erledigt habe. Grundsätzlich nicht viel Vorbereitungszeit würde man meinen. Insbesondere nicht bei so einer Streckenlänge und erst recht nicht mit dem Rattenschwanz der bei so einer Selbstversorgerfahrt noch alles dazu kommt. Die Strecke selber machte mir erstaunlich wenig Sorgen. Als langjähriger Läufer hatte ich eine gute Grundfitness auf die ich mich auch auf dem Rad verlassen konnte, wie meine Bikepackingtour im Vorjahr nach Nizza gezeigt hat. Auch wenn ich keinen festen Trainingsplan verfolgt habe, hab ich die Monate bis zum Start einige Kilometer runtergekurbelt. Oft genug bin ich die knapp 40km mit dem Rad zur Arbeit hin und zurück gependelt. Den ganzen Winter durch hab ich die Strecke mit dem Rad zurückgelegt um meinem Kopf beizubringen, dass der Körper das durchaus kann, auch wenn's mal nass und kalt ist.
Die notwendigen und anfälligen Reperaturen und Wartungsarbeiten am Rad habe ich selber durchgeführt und mir fehlendes Wissen über YouTube und einschläge Websites angeeignet. Schließlich müsste ich mir ja im Falle einer Panne selber helfen können. Die Ausstattung am Rad wurde optimiert. Ein zweiter Radsatz mit Nabendynamo und Stromwandler für die Stromversorgung per USB-Anschluss wurde gekauft. Ein Auflieger für den Lenker, wie ihn auch Triathleten benutzen, wurde montiert. Sattel und Lenker wurden immer wieder millimeterweise verstellt um die Sitzposition fortwährend zu optimieren. Die Taschen, die mein notwendiges Gepäck verwahren sollten wurden auf längeren Fahrten ausgiebig getestet und die beste Verteilung von Gewicht, Volumen und Handling durchprobiert.
Welche Ausrüstung ich zum Übernachten bräuchte machte mir weniger Sorgen, konnte ich hier doch auf jahrelange Erfahrung unter den unterschiedlichsten Bedingungen bauen.

Meine Rennstrategie, sofern man davon überhaupt sprechen kann, war eher etwas konservativ. Ohne große Erfahrung bei solchen Events baute ich auf Nummer sicher. Das bedeutete 1900km bei einer Cut-off-Zeit von 9 Tagen waren rund 200km pro Tag die ich als Mindeststrecke pro Tag fahren müsste um ein Finish zu erzielen. Erfahrungsgemäß schaffte ich auch größere Tagesstrecken, wollte mich aber auch nicht täglich bis an die Grenze gehen um genug Reserven für die Folgetage zu haben. Ich "plante" daher knapp 250km pro Tag ein. Selbst bei einer Panne oder einer anderen Unvorhersehbarkeit hätte ich so noch genug Puffer um im Zeitrahmen zu bleiben. Nachtfahrten, bzw. auch längere Fahrten im Dunkeln schloss ich für mich erstmal aus. Da ich bis zum Beginn des Rennens noch nie eine komplette Nacht durchgefahren war wollte ich beim #RATN keine Experimente wagen. 250km lassen sich auch tagsüber runterkurbeln und die Nacht dann ausgiebig zur Regeneration nutzen.
Den Gesamttrack der Strecke für mein GPS-Gerät unterteilte ich dementsprechend in 250km Abschnitte. Damit wurde ich dann auch mental nicht unterwegs von so einer großen KM-Angabe erschlagen, sondern bekam vor mir auf dem Display immer nur leicht verdauliche Distanzen angezeigt. Sollte das Navi unterwegs mal rumspinnen, wäre so ein kürzerer Track auch schneller neu geladen als eine Datei welche die gesamte Strecke umfasst hätte.
Grundsätzlich war ich glaub ich wohl recht gut vorbereitet.

Am Vortag zum Rennen trafen sich dann alle Teilnehmer schon beim Cafe de Prolog zum Check-in und gemeinsamen Abendessen. Die Atmosphäre war erstaunlich entspannt und durchweg alle Teilnehmer extrem umgänglich und unkompliziert. Ich weiß, man hört den Spruch oft, aber hier passt es wirklich zu behaupten, es war wie bei einer großen Familie. Das da ehemalige RadrennweltmeisterInnen oder Sieger diverser legendärer Ultraradrennen links und rechts neben einem am Tisch saßen fiel mir ehrlich gesagt erst im Nachhinein auf, als ich mir nochmal die Teilnehmerliste anguckte. Daneben war es aber auch ganz nett einige Leute zu treffen, die man bisher nur aus den Sozialen Netzwerken kannte. Etwa Christian aka @teichstecher dem ich dann während des Rennens noch öfters begegnet bin und mit dem es schon im Vorfeld einen regen Austausch gegeben hat. Das wir dann beide am Start mit fast identischem Taschen-Setup und beide in Oranje-Orange gekleidet standen war aber reiner Zufall! Ehrlich!

Der Start am nächten Morgen verlief auch recht locker. Alle standen fertig gerüstet mit ihren Rädern auf dem Vorplatz vom de Prolog. Der Veranstalter erzählte noch irgendwas, was bei mir in der hintersten Reihe leider nicht ganz ankahm. Und irgendwann rollten dann alle mehr oder weniger los. Der ein oder andere zog sich noch in Ruhe eine Jacke an oder aus, fummelte noch an einer Tasche oder verschwandt nochmal kurz auf dem Klo. Bei einem Rennen, das in Tagen und Stunden gerechnet wird, kommt es nicht auf eine Minute mehr oder weniger an.

Der erste Abschnitt fühlte sich dann auf der Strasse dann aber doch eher wie ein Zeitfahren an. Das Peloton hing noch eng zusammen und jeder versuchte sich seine Position passend zu seinem Tempo zu sichern. Auf den ersten 10km war es noch gestattet so dicht aufeinander zu hocken und quasi auch vom Windschatten der anderen zu profitieren. Danach sollte sich das Feld dann aber soweit voneinander getrennt haben, dass abgesehen von den 2er Teams jeder nur noch für sich fährt. Leider hielten sich nicht alle daran. Wenn man nicht um eine Plazierung fährt könnte es einem ja relativ egal sein, wie eng sich manche an die Regeln halten. Da die Strecke aber natürlich nicht abgesperrt war und wir bei normalem Straßenverkehr unterwegs waren, wurde es durch solche zusammenhängenden Gruppen teils schwierig zu überholen und sein eigenes Tempo zu fahren. Bzw. ist es auch etwas unverschämt, wenn sich gleich mehrere Teilnehmer dicht an deinen eigenen Hinterreifen hängen um sich von Dir ziehen zu lassen, wenn gleich Punkt 3 der Regeln dieses Rennens lautet "no drafting at any time". Ich glaube hier merkte man einfach die verschiedenen Radsport-Hintergründe der Teilnehmer. Z.B. ob sie bereits solche Selbstversorgerrennen gefahren waren oder bisher "nur" Brevets wo man gerne in Grüppchen fährt.
Irgendwann lockerte sich das Feld dann weiter und ich war weitestgehend alleine auf der Strecke. Nur an einzelnen Schlüsselpunkten, etwa einer Bäckerei, fuhr man dann wieder aufeinander auf. Unterwegs gab es dann noch eine nette Überraschung als Uli Benke, ein Bekannter von Twitter, mit seinem Rad an der Strecke auftauchte um sich das Spektakel mal selber anzugucken, ein paar Fotos zu schießen und uns anzufeuern. 

Für die erste Nacht plante ich einen nahegelegenen kleinen Campingplatz anzufahren, der etwas neben der Strecke liegen sollte. Gefunden hab ich ihn leider nicht. Nachdem ich trotz eines Hinweisschildes und Unterstützung durch Google-Maps erfolglos ein paar Runden um einen Acker und durch ein Waldgebiet gefahren war, kehrte ich zur Hauptroute zurück. Nach wenigen Kilometern wurde ich dann mit einem Pfadfinderzeltplatz belohnt. Da zur Zeit noch keine Jugendgruppe dort lagerte durfte ich meinen Biwacksack einfach auf der Wiese ausrollen und auch das Dusch- und Toilettenhäuschen nutzen. Perfekt! Knapp 350km hatte ich auch schon eingefahren und war damit meinem selbst gesetzten Soll einiges vorraus.

Mit dem ersten Morgenlicht machte ich mich langsam auf, verpackte meinen Krempel am Rad und rollte los. Irgendwann fuhr ich dann auf Christian auf, der neben Problemen mit einer blockierenden Bremse auch noch eine Zahnkrone verloren hatte. Wir fuhren ein Stück nebeneinander und suchten erstmal eine Bäckerei fürs Frühstück. Zwei Kaffee und diverse Backwaren später trennten wir uns dann. Er suchte einen Zahnarzt und eine Radwerkstatt auf, ich kurbelte weiter Kilometer runter. Nach knapp 270km und einem ganzen Stück mit Gegenwind und starkem Regen freute ich mich dann in Lauwersoog über eine heiße Dusche auf einem Campingplatz und eine große Portion Fritten bevor es dann fluchs in den Biwacksack ging. Nachts wurde ich dann durch Regen im Gesicht geweckt. Naja...

Der dritte Tag führte dann für mich an der Küste entlang, vorbei am Ijselmeer. Und das gefühlt sehr, sehr langsam. Gegenwind bis Amsterdam. Leider machte sich durch das stärkere Treten dann mein offenbar leicht verzogenes Schaltauge bemerkbar. Die Schaltung sprang öfters und ich trat regelmäßig mit voller Kraft ins Leere. Meine linke Achillessehne wurde dadurch ziemlich schmerzhaft strapaziert und ich wusste nicht wie weit ich es noch schaffen würde. Zudem machte sich mittlerweile deutlich bemerkbar, dass die Kleidung die ich dabei hatte nicht für die teils unerwartet niedrigen Temperaturen ausreichte. Stehen bleiben konnte ich auch nicht, da es auf dem Streckenabschnitt kaum Versorgungsmöglichkeiten gab und ich auf offener Strecke ohne Bewegung im nu anfing zu frieren. Nach 245km schaffte ich es nach Amsterdam. Madman Bicycles, ein Radladen/ Cafe hatte sich für die Teilnehmer des #RATN als Supportpunkt angeboten. Neben vergünstigten Angeboten aus dem Cafe gab es schnelle technische Unterstützung und bei Bedarf Platz in der Werkstatt um den Schlafsack für die Nacht auszurollen. Auch wenn es noch recht früh am Tag war, mein Bein brauchte dringend Pause. Für mich war in keinster Weise abzusehen ob ich mit der angeschlagenen Achillessehne noch weiterfahren, geschweige denn das Rennen überhaupt noch beenden könnte. Aber es heißt ja nicht umsonst "Never quit on a bad day". Und mit rund 870km nach dem dritten Tag hatte ich mir einen ausreichenden Puffer erstrampelt um notfalls einen kompletten Ruhetag einlegen zu können und noch im Zeitlimit zu bleiben. Also nicht stressen, Fuß hochlegen, Kaffee trinken und Kuchen futtern.

Am nächsten Morgen wurden wir alle "sanft" geweckt als einer der Mitfahrer im Halbdunkel auf dem Weg zur Toilette die sorgsam aufgereihten Stahlrahmen in der Werkstatt umstieß. Naja, wach ist wach. Das Bein war zwar gut geschwollen, gehen fiel schwer, tat aber nicht ungewöhnlich weh und war weitestgehend belastbar. Kurbeln kann man ja notfalls auch mit einem Bein. Also erst nochmal den guten Kaffee vom Madman Bicycles genossen und dann gegen acht Uhr langsam losgeradelt. Zwar gab es wieder etwas Gegenwind, aber bis Denhelder waren es nur knapp 130 km und von dort sollte es laut Karte Rückenwind geben. Unterwegs zogen immer wieder starke Hagelschauer auf, die aber glücklicherweise nie lange anhielten. Und je näher es an die Westküste ging umso besser wurde das Wetter. Bis hierher hat das Bein auch gut gehalten, auch wenn's etwas steif war. In Denhelder fand sich dann auch eine Gruppe Teilnehmer an einem großen Strandcafe ein. Also Kalorien nachfüllen, Kaffee tanken und dann den Rückenwind Richtung Süden entlang der Dünen nutzen. Auf dem letzten Stück nach Rotterdam traf ich erneut auf Jack Peterson, den ich schon beim Strandcafe kennengelernt hatte. Irgendwie pendelte sich unser Tempo ein und wir fuhren den Rest des Tages nebeneinander. Auch mal nett sich nach den Tagen mehr oder weniger alleine auf dem Rad auch mal unterwegs unterhalten zu können. Wir überlegten mögliche Übernachtungsoptionen in Rotterdam. Busbahnhof, Aufenthaltshalle am Fährterminal, UBahn,... als uns ein Gebüsch unterhalb von ein paar Windrädern gleich am Hafenbecken sympatisch zuzwinkerte. Also nach knapp 300km schnell die Räder ins Gestrüpp, wo gut geschütz genug Platz war um zwei müde Bikepacker mitsammt ihrem Krempel eine Bivvy-Möglichkeit zu bieten.
Nachts kühlte es sich dann doch wieder ordentlich ab. Zum Glück hatte ich mir unterwegs bei einer Kirmes eine Tüte mit Fettgebäck gekauft. Immer wenn ich nachts durch die Kälte wach wurde, machte ich paar kurze Situps in meinem Biwacksack um die Muskeln aufzuwärmen, stopfte mir ein fettiges Teilchen in den Mund und mit dem angeregten Stoffwechsel schlief es sich gleich etwas wärmer. Am nächsten Morgen war die Tüte dann leer.
Jack rollte als erfahrener Langstrecken-Veteran als erster wieder los. Ich folgte ein paar Minuten später. Abgesehen von einem McDonalds hatte zu dieser frühen Stunde noch alles geschlossen. Wir gönnten uns ein Frühstück und nutzten die Gelegenheit für eine Katzenwäsche auf der Toilette. Soll ja niemand behaupten wir wären ungepflegt.

Auf den nächsten Streckenabschnitt freute ich mich besonders, kannte ich diese Ecke der Niederlande doch schon von den Urlauben aus meiner Kindheit sehr gut. Am Deltawerk, das hier das Inland vor Sturmfluten schützt, war ich Jahre zuvor sogar getaucht. Spannend dieselben Straßen nun Jahre später auf so einem Radrennen zu fahren. Und einfach zu verlockend jede bekannte Frittenbude anzufahren, nur um zu gucken, ob die Fritten noch genauso lecker sind wie damals... (Waren sie!)
Kurz hinter Domburg verpasste ich dann in den Dünen einen Abzweig. Beim Wenden auf den Betonplatten rutschte ich auf einer dünnen Sandschicht aus. Mein angeschlagenes Bein konnte ich nicht schnell genug aus den Klickpedalen lösen und schlug damit auf den Betonplatten auf, die hier den Untergrund bildeten. Meine linke Hand trug zwar eine Prellung davon, war aber durch die Handschuhe noch gut geschützt. Mein sowieso schon angeschlagenes Bein, das sich zwar bis hierher relativ ruhig verhalten hatte, aber immer noch empfindlich war, hat es nicht so gut bekommen. Der Knöchel fing sofort an anzuschwellen. Gebrochen oder gerissen war zwar nichts, aber die Sehne war ordentlich gezerrt. Ich setzte mich umgehend wieder aufs Rad und fuhr weiter, ehe das Adrenalin vom Sturz nachließ und die Schmerzen einsetzen würden. Mit etwas Glück könnte ich mit der sofortigen Bewegung verhindern, dass das Gelenk komplett zuschwillt und unbeweglich wird. Weit würde ich es aber heute nicht mehr schaffen. Blöd, da heute das Wetter einigermaßen stabil war und ich bis dahin guten Fortschritt gemacht hatte. Bis auf die Höhe von Bergen op Zoom wollte ich es aber noch ungefähr schaffen. Die Strecke war flach, es war noch recht früh am Tag und solange ich nur mit meinem rechten Bein Kraft aufs Pedal ausübte und das Linke quasi passiv mitlaufen lies konnte ich noch weiterfahren. In Hoogerheide, nach 245 km buchte ich mich in einem Hotel ein. Das Bein brauchte dringend Pause. Draußen schlafen war keine Option, wenn ich dem Bein die notwendige Regeneration zukommen lassen wollte.
Dusche und ein richtiges Bett war schon ganz nett. Aber im Speisesaal dann ein riesiges Buffett incl. Eistheke, zwei Schokobrunnen (helle und dunkle Schokolade), einer Kuchentheke, einer gut bestückten Salatbar, asiatischem Buffett, einer Grillstation und freien Getränken... Nach fünf Tagen auf dem Rad bedarf es wohl keiner Worte was mir da durch den Kopf ging!

Am sechsten Tag hatte sich das Bein trotz der Nachtruhe nicht wirklich verbessert, aber auch nicht verschlechtert. Meine ursprüngliche Idee evtl. den letzten Teil der Strecke auch durch die Nacht durchzufahren und somit einen Tag mehr herauszuholen würde ich aber ganz klar nicht mehr umsetzen können. Nach dem Frühstück ging es raus. Es war kalt. Ich wurde nicht wirklich warm und kurbelte lustlos und etwas angefressen vor mich her. Immer wieder regnete es was die Lage nicht besser machte. Die Bremsbeläge meiner hinteren Bremse waren auch durch. Die Ersatzbeläge hatte ich bereits vorne verbaut. Mit den bevorstehenden Höhenmetern und Abfahrten rund um das Dreiländereck keine wirklich guten Voraussetzungen. Ich hielt gefühlt an jedem zweiten Radladen, aber die passenden Beläge waren nirgendwo zu bekommen. In einer kleinen Radwerkstatt wurden dann der Mechaniker und ich erfinderisch. Die alten Beläge wurden ausgebaut, auf der Werkbank etwas mit der Feile bearbeitet und aufbereitet und nach der fragwürdigen Behandlung hatten sie zumindest wieder etwas Grip. Besser als nix. Ich kaufte noch ein dickes, frottiertes  Mountainbike-Radtrikot und ergänzte damit mein Schlechtwetteroutfit, das unterwegs bereits ein Upgrade durch ein paar gummierte Gartenhandschuhe aus einem Baumarkt erhalten hatte. Warm eingepackt und zumindest mit etwas mehr Bremsleistung ging es weiter Richtung Maastricht.
Da meine Ausrüstung von den Temperaturen bereits voll ausgereizt war und mein Bein auf qualitative Regeneration angewiesen war suchte ich für die kommende Nacht wieder ein Hotel raus. In Falkenburg plante ich die Übernachtung ein. Die Route des Rennens machte einen Bogen, hoch auf eine Anhöhe oberhalb von Falkenburg und kehrte dann wieder nach Falkenburg zurück. Statt mir die Höhenmeter sozusagen fürs Frühstück aufzusparen, ging ich sie noch am Abend an, konnte ich danach doch ordentlich Pause machen und den nächsten Morgen entspannter starten. Nach nicht ganz 250km freute ich mich über ein Bett.

Dienstag, der siebte und somit letzte Tag. Das Bein war über Nacht ruhig geblieben. Zwar geschwollen und ziemlich steif, aber vom Schmerz her ganz ok. Noch 260km to go. Nach dem Frühstück im Hotel nutzte ich die erste Gelegenheit um die Packtaschen bis zum Rand mit Vorräten vollzustopfen. Wenn möglich wollte ich nicht mehr stoppen müssen. Das Rennen wollte ich jetzt endlich zum Abschluss bringen. In der Fronttasche fanden sich 6 Rosinenbrötchen, eine Packung Riegel, eine 500 Gramm Packung Weingummi, eine große Tüte Erdnüsse. Neben den Wasserflaschen am Rad hatte ich in den Trikotaschen zwei 0,5l Cola Flaschen. In meiner Rahmentasche waren zwei zusammengerollte Pizzen. Und in meiner Beintasche steckten noch zwei Clifbars.
Kurz nach der Hälfte der Strecke war bereits alles verputzt...
Also notgedrungen beim nächsten Supermarkt reinspringen. Die Taschen erneut füllen, noch schnell eine Flasche Saft und eine Packung Beeren wegatmen und wieder in den Sattel.
Nur ein kurzes Stück weiter sah ich wie grade zwei andere Teilnehmer, die ich unterwegs bereits getroffen hatte, grade vor einem Cafe ihre Räder wieder fertig machten. Ich flitzte um die Kurve und gab Gas. Es war ja immerhin ein Rennen. Und mein Kopf wollte erstens das Ding jetzt zuende machen und zweitens nicht noch auf den letzten Metern überholt werden. Die Sache mit dem Bein nervte mich schon genug. Irgendwie fühlte sich dann der Asphalt so merkwürdig an. Verdammt! Das war nicht der Asphalt! Ich hatte einen Platten! 100km vorm Ziel!!!
Ruhe bewahren! Jetzt nichts überstürzen. Also rechts ranfahren. Werkzeug auspacken. Nabendynamo abstöpseln. Schnellspanner lösen. Rad ausbauen. Luft ablassen. Mantel abziehen... Was soll der Mist? Der Mantel lässt sich nicht bewegen! Selbst mit den Reifenhebern ist nichts zu machen. Blödes Tubeless-Ready-Setup!!! Am Grundstück neben mir guckt eine Frau interessiert über den Zaun. Sie teilt mir mit, dass es am anderen Ortsende einen Radladen gäbe. Aber da bräuchte ich bestimmt ein Auto. Ich gucke kurz in die Karte, überlege, schulter mir mein Fahrad auf die rechte Seite, das ausgebaute Laufrad nehme ich in die linke Hand und laufe los. Irgendwie spielt das angeschlagene Bein mit und der vertraute Laufschritt fühlt sich nach den Tagen im Sattel gut an. In dem Moment kommen die beiden anderen Teilnehmer, die ich kurz vorher überholt hab vorbei und fallen bei meinem Anblick fast vom Rad. So wie ich da unterwegs war hatten die warscheinlich schon befürchtet, ich wolle das Rennen jetzt zu Fuß finishen. Als ich ihnen mitgeteilt hatte, dass aber alles ok sei und ich nur die nächste Werkstatt ansteuerte waren sie beruhigt und flitzten davon.
In der Werkstatt gelang es den beiden Mechanikern dann erst mit gemeinsamen Kräften den Mantel von der Felge zu ziehen. Das der so fest saß hatte ich auch noch nicht erlebt. Bisher saß der zwar auch immer stramm, aber war noch zu händeln. Die Ursache für den Platten war dann schnell gefunden. Es hatte sich eine scharfkantige Muschelschale durch den Mantel bis in den Schlauch gedrückt. Schlauch wechseln. Mantel drauf. Aufpumpen. Rad einbauen. Und weiter gings.
So lange hatte die ganze Aktion dann zum Glück nicht gedauert. Noch 100km. Die Taschen haben genug Vorräte. Mal gucken ob ich das Ding nicht noch unter sechseinhalb Tagen packe. Also Kette rechts und kurbeln!

Bei Venlo hatte ich die beiden, die mich während meiner Panne überholt hatten, wieder eingeholt. Irgendwie kitzelte sich das jetzt zu einem richtigen Rennen hoch. Keiner wollte mehr seine Position aufgeben und so gab es immer wieder kurze Sprints von roter Ampel zu roter Ampel. Blöderweise achtete ich nicht auf mein Navi und verpasste eine Abzweigung. Die beiden sahen ihre Chance und flogen los. Ich wendete und kurbelte hinterher. Bei einem Rennen das über 1900 km geht, kann man sowas auf den letzten 100km durchaus als Sprint-Finish bezeichnen. Es dauerte etwas, aber ich arbeitete mich ran. Ein Bekannter aus Düsseldorf verfolgte das ganze per GPS über die Onlinekarte der Veranstaltung. Auf dem Display meines Navis blinkten seine Anfeuerungen auf. "Das Ziel ist ganz nah!", "Top. Die 48 ist kurz vor Dir. Die 28 in Reichweite."
Ich überholte die beiden und brachte Distanz zwischen uns. Mein Kopf war mittlerweile komplett im Renn-Tunnel. Kurbeln, Route, Restkilometer, Kurbeln....
Nachricht: "Als nächtes die 40 und 94. wenige km vor Dir." Ich ließ meine Pedale rotieren. Zog am nächten Teilnehmer vorbei der etwas verdattert war und versuchte hinterherzukommen.
Tiefer im Tunnel. Kurbeln, Route, Kurbeln, Route, Kurbeln, Route...

"So nah am Ziehl! Unglaublich!!!"

Kurbel, Route, Kurbeln, Route, Kurbel...

"Die 21 sitzt Dir im Nacken"

Ich lass mich doch auf den letzten 40 Kilometern nicht mehr überholen!!! Jetzt heißt es pokern. Ich gebe nochmal alles. Entweder reicht die verbleibende Kraft oder der Tank ist kurz vor dem Ziel leer. Ich erhöhe den Schnitt. Mit über 30 km/h kurbel ich was noch geht. Das Bein ist mir jetzt egal. Ehrlich gesagt merke ich es grade eh nicht mehr. Die letzten Kilometer laufen rückwärts. Keine Stunde mehr bis zum Ziel. Jetzt keinen Fehler mehr machen. Auge auf die Route. Kurbeln. Ich fliege dahin. 33er Schnitt. Ich muss mich etwas zügeln um nicht auszubrennen. Ortseinfahrt Amerongen. Gleich da. Moment, da war eine Baustelle. Die Strasse war gesperrt. Wie war nochmal die Alternative? Ich ziehe an einer Pedelecfahrerin vorbei. 37km/h. Jetzt ist auch egal. Ich biege um die Ecke und...
de Prolog. Das Ziel. Finish!!!
Im Ziel pumpt noch ordentlich das Adrenalin der letzten Km. Ich bekomme erstmal ein Bier in die Hand gedrückt. Lecker. Langsam zur Ruhe kommen. Jack ist auch bereits da. Er war die letzte Nacht durchgefahren.
Einige Zeit später treffen dann auch die anderen Fahrer ein mit denen ich mir den Schlusssprint geliefert hab. Ich spendiere ihnen ein Bier und wir gratulieren uns gegenseitig. Ein spannendes Finish.

Die Nacht verbringe ich im "de Prolog". Am morgen verabschiede ich mich von allen, radel ganz entspannt mit dem Rad nach Arnheim und nehme von dort die Bahn nach hause.

Langsam setzen sich die Eindrücke dieses Rennens. Langsam verblassen die Erinnerungen an die Strapazen. Langsam wird mir erst bewusst, was das für eine Leistung und was das für eine bekloppte Aktion war.

Am Ende taucht meistens immer die Frage auf, ob man so etwas nochmal machen würde.
Ich habe diesen Artikel "Ich bin kein Radrennfahrer" genannt, nicht weil ich vielleicht körperlich nicht für Radrennen in der Lage wäre. Es ist vielmehr das, was in meinem Kopf passiert.
Bei Brevets geht es meist ziemlich entspannt zu. Es geht ja quasi um nichts und es herrscht dementsprechend keine Konkurrenz. Bei den RTFs die ich kenne, geht es grundsätzlich auch um nichts. Nur darum die Strecke zu schaffen. Keine Plazierung. Keine Finisherzeit. Und dennoch hab ich bei RTFs vielmehr Ellenbogenmentalität erlebt als es Sinn machen würde. Ich scheue mich persönlich nicht vor einer körperlichen Herausforderung. Aber ich bin kein großer Freund von Konkurrenzdenken. Das war ich auch schon beim Laufen nie. Leider bin ich für sowas aber auch durchaus anfällig wie ich auf der letzten Etappe des #RATN gemerkt habe. Ich hätte auch nichts dadurch verloren wenn ich einfach gemütlich ins Ziel geradelt wäre. Stattdessen war ich so in meinem Tunnel und dachte ich müsste was beweisen. Wem eigentlich? Mir selbst?
Bei RTFs war dieser Konkurenzdruck unterschwellig noch höher. Einfach, weil viele andere diese Veranstaltungen scheinbar dazu nutzen um sich gegenüber anderen zu beweisen. Zumindest hat es auf mich oft diesen Eindruck erweckt. Abdrängen, dichtes Überholen in Kurven, Ausbremsen, etc.... Aber wenn einer die Ellenbogen auspackt, dann push ich zurück. Ich lasse mir sowas nur ungern gefallen. Nur, dann gehe ich auch gerne mal bis an meine Grenzen. Die Gefahr mich wegen so einer Belanglosigkeit kaputt zu machen ist für mich ziemlich groß. Bei Wettkämpfen, wo ganz klar ein direktes Gegeneinander gefördert wird, mache ich grundsätzlich einen Bogen drum. Das macht mir einfach irgendwie keine richtige Freude. Bei so langen Veranstaltungen wie dem #RATN relativiert sich das dann wieder irgendwie. Aber auch hier wacht man morgens auf und weiß, dass selbst das Zähneputzen unter einem gewissen Zeitdruck erfolgt. Das mag für andere reizvoll sein, ich brauche das nicht unbedingt.
Ein klassisches Radrennen fällt damit komplett für mich raus. Es gibt auch so genug Strecken und Herausforderungen die ich mit meinem Rad erfahren kann. Ich bin kein Radrennfahrer.
Beim Laufen hab ich für mich mal gesagt "Running, not racing."
In diesem Sinne könnte ich das jetzt ergänzen: "Riding, not racing."

Wie das in Zukunft aussehen wird, kann ich aber natürlich nicht 100% sagen. Jetzt wo ich diesen Artikel hier geschrieben habe hätte ich vielleicht doch Lust nochmal so eine Ultraevent mitzufahren. Dann aber deutlich entspannter...

Mittwoch, 16. Januar 2019

Upgrades als Lebensziel

Wer sich jetzt nicht zum ersten Mal hier auf diesen Blog verirrt, der hat vermutlich mitbekommen, dass ich für dieses Jahr zumindest in sportlicher Hinsicht gewisse Pläne habe. Ich bereite mich grade nicht nur auf mein allererstes Radrennen überhaupt, sondern damit auch gleich auf ein 1600km Ultrarennen im Selbstversorgermodus vor. Dass das kein asketischer Selbstfindungstrip wird, sondern auch die Ausrüstung einen wesentlichen Teil für ein erfolgreiches Finish ausmacht, steht außer Frage. Und dennoch frage ich mich wie sehr man dabei den Fetish fürs Equipment ausreizen muss. Damit meine ich nicht den grundsätzlichen Ansatz zu einer ultraleichten und minimalistischen Ausrüstung wie ich sie auch auf meinen sonstigen Touren forciere. Vielmehr frage ich mich wieviel Optimierung noch sinnvoll ist bzw. ab wann das nächste Upgrade nur noch zum Optimierungswahn verkommt.

Wenn ich mich in letzter Zeit mit anderen Radsportbegeisterten ausgetauscht habe, ging es früher oder später um mein Equipment und die Konfiguration meines Rades für mein anstehendes Rennen. Und oft genug wurde ich dann gefragt, warum ich diese Reifen wähle und nicht jene. Warum ich ein Akkulicht montiert habe und keinen Dynamo. Und warum ich überhaupt ein Gravelbike aus Alu für diese Tour nehme und kein leichtes Rennrad aus Carbon. Ich könnte mich jetzt in stundenlange Gear-Nerderei ergeben und die Vor- und Nachteile von diesem und jenem diskutieren. Aber um es kurz zu machen: Ich greife zunächst einmal auf das zurück was ich hier rumstehen habe. Und auch wenn evtl. manche Entscheidungen die zum Kauf oder Nichtkauf eines dieser Teile führten mittlerweile wohl überholt sein mögen, steht mir zumindest kurzfristig nichts anderes zur Verfügung. (Hätte ich damals schon gewusst, wie geil sich mein Sonder Camino fährt und wieviel Zeit und km ich auf seinem Sattel verbracht habe, hätte ich z.B. gleich die Titanversion plus Nabendynamo bestellt. Hab ich aber nicht.)
Natürlich werde ich mir noch das ein oder andere Teil für mein Equipment besorgen. Aber wie die Meisten verfüge auch ich nicht über ein unbegrenztes Budget. Damit stellt sich dann auch die Frage, wie wichtig ist mir dieses Rennen und wieviel bin ich bereit dafür zu investieren. Und auch nicht zuletzt, muss ich überhaupt etwas dafür investieren oder reicht nicht bereits das was ich besitze um mein Ziel beim Race around the Netherlands zu erreichen?

Die Bedingungen beim #RatN sind wie bei jeder ähnlichen Veranstaltung ziemlich spezifisch. Ich kann auch jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ich in naher Zukunft nicht an einer Veranstaltung mit den selben Rahmenbedingungen teilnehmen werde. Also wie präzise soll ich mein Equipment auf die zu erwartenden Bedingungen abstimmen. Bzw. wieweit kann ich mein Rad so auch noch für Touren nutzen, wie sie mir für die weitere Zukunft vorschweben? Und ohne, dass hier anschließend teure Bauteile rumfliegen die nur einmal genutzt wurden?

„Lerne das zu nutzen, was Du besitzt! Dann verfügst Du über mehr als Du brauchst.“

Diese Aussage mag sich banal anhören, aber sie beschreibt ziemlich gut meinen Ansatz wenn es um meine Tourenvorbereitungen geht. Neues, glänzendes Equipment hat einen gewissen Reiz. Aber bewährte und erprobte Ausrüstung, bei der man die Stärken und Schwächen kennt und weiß, dass man sich drauf verlassen kann, hat ihre eigenen Vorteile. Und auch wenn eine gewisse Sentimentalität rein objektiv betrachtet, ineffizient sein mag, so finde ich es doch schön wenn man es wertschätzen kann wohin einen ein Teil bereits begleitet hat. Sei es ein Fahrrad, Rucksack oder was anderes. Manchmal kommt man an den Punkt, wo man nicht nur anderen, sondern auch sich selbst einfach sagen muss: „Mir reicht das. Damit bin ich zufrieden.“ Das mag in unserer kapitalistisch geprägten und erfolgsorientierten Gesellschaft zwar etwas ungewohnt klingen, aber sind ewige Upgrades das einzige Lebensziel und der Drang zur fortlaufenden Optimierung die Erfüllung?

Ich werde beim Rennen um die Niederlande mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht auf einem 30 Jahre alten Hollandrad an den Start gehen. Aber ich werde mit ziemlicher Sicherheit auch nicht jede Schraube an meinem Rad durch eine gewichtsreduzierte Titanschraube ersetzen um minimale Vorteile herauszukitzeln. Das Rennen um die Niederlande ist ein Wettkampf vieler Teilnehmer. Aber es ist für jeden auch eine persönliche Herausforderung. Für mich steht letzteres im Vordergrund und daran werde ich mich in meiner Vorbereitung und im Rennen selber orientieren. Ob ich durch diese Entscheidung jetzt minimal schneller oder langsamer wie andere Teilnehmer sein werde, ist für mich damit erstmal nicht wichtig. Aber das heißt auch nicht, dass mir eine erfolgreiche Teilnahme an diesem Rennen nichts bedeuten würde. Was Erfolg für jemanden bedeutet, ab wann man zufrieden mit etwas ist und wieviel man bereit ist dafür herzugeben muss jeder für sich selbst bestimmen. Nicht nur bei einem Selbstversorgerrennen auf einer Ultradistanz.