Freitag, 15. Juni 2018

Grenzen. Verschieben. Überwinden. Niederreißen.

Hört man den Begriff "Grenze" kann sich eigentlich jeder sofort etwas darunter vorstellen. Und dennoch ist es ein simples Wort für eine komplexe Sache. Das fängt schon damit an, dass jeder sich je nach Kontext etwas anderes darunter vorstellt.

Wer diesen Blog als "Sportblog" ließt, denkt wahrscheinlich gleich an persönliche, physische Grenzen die man durch Training verlagern kann.
Als "Reiseblog" würde man wohl an Ländergrenzen denken.
Als Wanderer oder Outdoorer (was ist das eigentlich für ein doofes Wort?) könnte man über natürliche Grenzen wie einen Fluss oder ein Gebirge sprechen.
Und manch einer sieht auch in Gesetzen oder der Moral gewisse Grenzen verankert. Selbst als Kind werden einem Grenzen gesetzt und das als Teil einer Erziehung angesehen.
Also so ganz einfach ist es doch nicht was sich hinter diesem Begriff verbirgt.

Ich versuche mal das Thema etwas anders anzugehen. Es gibt rein persönliche Grenzen und es gibt Grenzen die von einer Gruppe von Menschen als solche erkannt werden.
Wenn ich an mich selber denke, so habe ich in meinem Leben eine Vielzahl an Entwicklungen durchgemacht. Körperlich, intellektuell und emotional. Insbesondere als Sportler habe ich dabei Grenzen oft sehr bewusst wahrgenommen. Sowohl bei anderen, die "an ihre Grenzen gegangen sind", als auch bei mir selber, wenn ich versucht habe meine eigenen Grenzen zu verschieben. Das bedeutet in der Regel harte Arbeit. Und es ist nicht nur ein rein physischer Prozess sondern verlangt auch eine gewisse psychische Grundeinstellung.
Es ist relativ leicht und bequem sich ausschließlich in seinen Grenzen zu bewegen. Doch je länger man nur in seiner Komfortzone trainiert, umso schwerer fällt es diese zu verlassen. Das gilt nicht nur für den Sport, das gilt eigentlich für das gesamte Leben. Eine Angewohnheit abzulegen fällt umso schwerer je länger man an ihr festhält.
Ich erinnere mich noch gut dran, wie ich meine ersten Laufrunden im Wald begonnen habe und für 5km fast eine Stunde gebraucht habe. Heute schaffe ich so eine Strecke in einem Drittel der Zeit. Und auch die Distanzen die ich laufe haben sich verändert. Und damit auch mein Blickwinkel darauf. Heute laufe ich Entfernungen, die ich noch vor ein paar Jahren für absolut unrealistisch gehalten habe. Nicht nur für mich selbst, sondern für Menschen allgemein. Als jemand der 10 Kilometer als sehr große Herausforderung angesehen hat war ein Marathon nur etwas für Extremsportler die sozusagen ihre gesamte Existenz auf dieses eine Ziel hin ausgerichtet haben. Distanzen die darüber hinausgehen waren für mich schlicht nicht mehr fassbar. Sie waren einfach soweit außerhalb meines eigenen Weltbildes, dass ich die bloße Möglichkeit solche Strecken zu laufen grundsätzlich für jeden Menschen für unmöglich hielt.
Heute laufe ich selbst solche Distanzen. Und das mit einer Selbstverständlichkeit die mich manchmal selber überrascht. Ich habe damit nicht nur meine eigene körperliche Grenze verschoben, ich habe vor allem meine psychische Grenze im Kopf überwunden und meinen Blickwinkel erweitert.
Beim Sport schaffen es manche im entscheidenden Moment über sich hinaus zu wachsen und ihre eigene Grenze zu überwinden. Um die Grenze aber dauerhaft zu verschieben muss man am Ball bleiben und weiter trainieren. Persönliche Grenzen sind nicht starr. Man kann an ihnen arbeiten und sich verbessern.

Wer mich kennt, kennt mich eigentlich als Fußgänger im weitesten Sinne. Meine Touren waren immer Wandertouren und mein Sport das Laufen. Doch auch hier hab ich meine Grenzen mittlerweile verlagert.
War mein Rad früher für kurze Strecken zur Eisdiele oder für einen kurzen Ausflug in die nächste Stadt gut (Rückweg aber bitte mit der Bahn) radle ich jetzt auch mal für einen Kaffee über 100 km und mehr. Mittlerweile habe ich auch schon einige kürzere Touren mit Übernachtung mit dem Rad hinter mir. Aber die große Tour steht noch an.
In ein paar Wochen möchte ich mich auf mein Rad setzen und quer durch Frankreich radeln. Das bedeutet für mich in vielerlei Hinsicht meine Grenzen neu zu definieren.
Im Vorfeld habe ich mich z.B. mit der Technik und möglichen Reparaturen auseinandergesetzt. Ein "ich kann das nicht" oder "ich weiß nicht wie das geht" hilft mir unterwegs nicht weiter, wenn ich einen Platten hab oder die Kette gerissen ist. Das klingt für manchen jetzt vielleicht banal, aber die Zuversicht zu haben unterwegs alle möglichen Reparaturen durchführen zu können bedeutet für mich die Verschiebung einer persönlichen Grenze.
Zudem wird das wohl die längste Tour werden, die ich auf mich alleingestellt angehen werde. Erstaunlicherweise schreckt mich das nicht, sondern macht mich eher neugierig. So nimmt jeder seine Grenzen wohl unterschiedlich war.
Auch die Tagesdistanzen die ich im Durchschnitt fahren möchte haben sich seit Anfang des Jahres schon deutlich verschoben. Auch wenn ich bisher noch nie so viele Tage und erst recht nicht so eine große Strecke am Stück mit dem Rad gefahren bin gehe ich da nun mit deutlich mehr Zuversicht dran. Mein Training (in Ermangelung eines besseren Begriffs nenne ich das einfach mal so) hat mir schon im Vorfeld gezeigt, dass solche Strecken prinzipiell für mich gut machbar sind.
Aber da gibt es noch eine weitere Grenze. Eine die in meinem Kopf sitzt und die dort schon sehr lange hockt. Wie ich bereits geschrieben habe sind insbesondere alte Grenzen mit am schwersten zu überwinden. Und dann hilft da oft nur der Sprung ins kalte Wasser. Ich rede dabei von der Sprache. Das mag jetzt merkwürdig klingen, für jemanden der bereits in allen möglichen Ländern unterwegs war und eigentlich nur Englisch als Zweitsprache beherrscht. Selbst im indischen Himalaya gab es eigentlich keine Berührungsängste und größeren Verständigungsprobleme auch wenn die Kommunikation oft nur mit Händen und Füßen gelang.
Warum Französisch für mich so ein Hemmnis ist oder auch die Kommunikation in Frankreich kann ich gar nicht genau sagen. Aber irgendwie hat sich diese Grenze in meinem Kopf dort festgesetzt und es wird Zeit das anzugehen. Und da hilft dann manchmal nur der Sprung ins kalte Wasser, sich alleine aufs Rad setzen und mehrere Wochen gezwungen sein an dieser Grenze zu arbeiten. Das Passieren der Ländergrenze nach Frankreich ist für mich damit sozusagen ein symbolischer Akt auch meine eigene Grenze zu überwinden, die Sprache und damit auch die Menschen dort besser kennen zu lernen. Vielleicht ist die physische Herausforderung das alles mit eigener Muskelkraft zu bewältigen für mich dabei auch eine Art Hilfsmittel mich an andere Grenzen zu trauen.

Es gibt Menschen, die schaffen es nie aus ihren Grenzen hinauszukommen. Das ist schade. Aber ich bewundere jeden Einzelnen der es zumindest versucht. Leute die nicht nur an ihren eigenen Grenzen festhalten, sondern auch noch anderen Menschen diese Grenzen aufdrücken wollen, zeigen für mich nur ihre eigene Schwäche.
Unsere Vorfahren haben es geschafft von Afrika aus die gesamte Welt zu Fuß zu entdecken und zu bevölkern. Dafür mussten sie mehr als einmal natürliche Grenzen wie Flüsse, Seen und Meere wie auch Täler, Berge und die verschiedensten Klimazonen überwinden. Sie sind in jeglicher Hinsicht über sich hinausgewachsen. Unsere Vorfahren haben bereits vor rund 180.000 Jahren ihre Grenzen überwunden.
Wer heutzutage noch an 70 Jahre alten Grenzen festhält ignoriert nicht nur unser Erbe als Menschheit. Wer nicht bereit ist sich von 70 Jahre altem Gedankengut zu lösen, zeigt damit seine geistige Inflexibilität. Es ist dabei egal ob die Muskeln aufgepumpt sind und vermeintliche Stärke vermitteln wollen, oder ob man sich mit einem feinen Anzug oder mit irgendwelchen Titeln und Abschlüssen schmückt. Wer 70 Jahre alte Ideologien für aktuell hält zeigt damit nur seine geistige Beschränktheit und seinen Unwillen sich zu entwickeln.

Um das mal in Relation zu setzen, wer als Sportler noch an 70 Jahre alten Grenzen festhalten würde, würde heutzutage schlichtweg nicht mehr ernst genommen.
Marathonbestzeiten wurden bei Männern um knapp 30 Minuten verbessert. Bei Frauen glatt um 80 Minuten. Der Mount Everest war noch nicht bestiegen, heutzutage steht man dort Schlange wie an der Supermarktkasse. Berge, die früher mehrere Tage zur Besteigung erforderten werden heutzutage in wenigen Stunden bezwungen.
Die Menschen haben in der Zwischenzeit sogar die Grenzen ihres eigenen Planeten überwunden, waren auf dem Mond und unterhalten mit der ISS eine ständige Präsenz im All die sich aus unterschiedlichsten Nationen zusammensetzt. Dies ist alles nur möglich, weil Menschen nicht nur ihre Grenzen überwunden und verschoben haben. Sie haben sie zum Teil regelrecht niedergerissen, sind über sich hinausgewachsen und haben Großartiges geleistet. Es ist eine Leistung Grenzen zu überwinden, nicht an ihnen festzuhalten!
Wer heutzutage noch an 70 Jahre alten Grenzen festhält zeigt damit nicht nur wie weit er zurückgeblieben ist, sondern er zeigt damit vor allem seine eigene Schwäche.

Egal ob als Sportler oder einfach nur als Mensch, mit Grenzen kann man vieles machen. Eines sollte man aber immer:
Man muss Grenzen hinterfragen!