Donnerstag, 31. Mai 2018

Wir sind der Verkehr!

"Helm! Sehr gut!" Das war mein erster Gedanke als mein Kopf gegen die Stoßstange knallte. Ich war auf dem Weg nach Hause als mir ein Autofahrer die Vorfahrt nahm. Ich war nicht schnell unterwegs, ich fuhr auf meiner Straßenseite, in einer Fahrradstraße und ich war bremsbereit. Das hat nichts genützt. Der Autofahrer hatte mich schlichtweg nicht wahrgenommen. Gesehen hatte er mich sehr wahrscheinlich, denn er fuhr geradewegs auf mich zu bevor er dann plötzlich vor mir abbog. Mein Ausweichmanöver verhinderte nur den direkten Zusammenstoß mit seinem Auto, aber nicht den Sturz. Den hatte er vermutlich weder gesehn noch wahrgenommen, denn er fuhr einfach weiter und ließ mich auf der Straße liegen. Zum Glück blieben außer zerissener Kleidung, einigen Abschürfungen an Armen und Beinen kaum bleibende Schäden.

Das war nicht meine erste gefährliche Situation als Radler mit Autofahrern. Und ich hab auch schon genug kritische Situationen mit anderen Radfahrern erlebt. Aber diesmal war es das erste Mal, dass es bei mir auch hätte anders ausgehen können. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Mehr als zuvor eh schon.
Ich bin bestimmt kein Unschuldslamm im Straßenverkehr. Ich wurde beim Autofahren schon mal geblitzt und hab auch schon ein Knöllchen fürs falsch Parken kassiert. Und auch mit dem Rad war ich nicht immer 100% StVO konform unterwegs. Man könnte jetzt also behaupten ich wäre nicht in der Position hier lautstark einen auf Anstandswauwau zu machen und den Moralapostel zu spielen. Und das möchte ich auch nicht.

Aber bei dem Unfall ist mir eine Sache aufgefallen und bewusst geworden. Der Autofahrer hatte mich nicht wahrgenommen. Man hört das ja oft, "ich hab den einfach übersehen", aber das trifft es nicht. Denn ich war ja direkt in seinem Blickfeld. Gesehen hatte er mich also. Nur er hatte mich offenbar nicht als Teilnehmer im Straßenverkehr wahrgenommen und damit für sich in seiner Wahrnehmung wohl ausgeblendet. Und je mehr ich darüber nachdenke ist das wohl das Hauptproblem was das Rad hier in Deutschland hat:
Das Fahrrad wird hier in Deutschland nicht als Verkehrsmittel wahrgenommen!

Und zwar weder von Autofahrern noch von den Radfahrern selber. (ja, es gibt natürlich immer Ausnahmen)
Das Rad scheint in Deutschland vor allem unter zwei Gesichtspunkten wahrgenommen zu werden. Als Sportgerät und als Freizeitgerät. Aber nicht als Verkehrsmittel. Und das hat Folgen.

Als reines Sportgerät, egal ob bei Rennradfahrern, Mountainbikern oder dem 08/15 Großstadt-Hipster, der flott unterwegs sein möchte, wird das Rad auch sportlicher bewegt. Und das hat zur Folge, dass manche eher ihr sportliches Ziel im Auge haben und die Regeln des Straßenverkehrs (z.B. Rote Ampeln, die ja total den Schnitt versauen) eher als Hindernis ansehen. Und z.B. die Ausstattung an Reflektoren etc. die laut StVZO vorgeschrieben ist, findet sich auch eher nur vereinzelt. Bei anderen Verkehrsteilnehmern erstreckt sich der Wahrnehmungsbereich dieser Sportler von Verwunderung bis hin zum Ärgernis "Was der hier jetzt auf der Straße trainieren muss! Das kann der auch woanders machen!" Nein, kann er nicht. Muss er auch nicht. Der darf das nämlich! Zumindest solange er sich an die Verkehrsregeln hält. Und selbst wenn nicht, ergeben sich damit auch keine Vorrechte des Autofahres gegenüber dem Radfahrer. Autofahrer und Radfahrer sind beide Verkehrteilnehmer. Beide bewegen ein Verkehrsmittel im öffentlichen Raum!

Und dann währe da noch die Wahrnehmung des Rades als Freizeitgerät. Ich finde es ja grundsätzlich gut, wenn Leute sich einmal im Jahr an einem Sonntagnachmittag aufs Fahrrad setzen um die 5km zur Eidiele zu radeln. Oft is das ja die einzige körperliche Bewegung die viele Menschen gefühlt heutzutage noch machen. Aber, in dem Moment wenn man sich aufs Fahrrad setzt und sich im öffentlichen Raum befindet, bewegt man ein Verkehrmittel. Das ist genauso als ob man im Auto sitzt und den Schlüssel dreht. Dann kann man auch nicht einfach lustig machen was man möchte. Ja, ich weiß, hier in Deutschland wirken viele Radwege nicht gerade wie Verkehrsstraßen. (Das liegt wohl dran, weil viele Städteplaner auch Fahrräder immer noch nicht gänzlich als Verkehrsmittel wahrgenommen haben) Aber unabhängig davon gilt auch auf Radwegen ein Rechtsfahrgebot, insbesondere wenn der Weg für beide Fahrtrichtungen freigegeben ist. Und wenn der Weg zu schmal ist, muss man halt mal hintereinander fahren. Ja, ich weiss. Das klingt komisch. Beim Spazierengehen auf dem Bürgersteig macht man ja auch keine Polonaise. Aber sitzt man auf dem Fahrrad bewegt man ein Verkehrsmittel, auch wenn man es sozusagen nur zum "Spazierengehen" nutzt. Und damit sollte man sich auch an gängige Regeln halten. Oder zumindest damit rechnen, das man eventuell überholt wird oder das einem jemand entgegen kommen könnte. Auch als Freizeitradler muss man Rücksicht auf andere nehmen. Und das bedeutet halt, auch kein Hindernis und erst recht keine Gefahrenquelle für andere Verkehrsteilnehmer durch das eigenen Fahrverhalten darzustellen. Also bitte fahren sie zügig weiter, es gibt hier nichts zu sehen...
Und auch wenn es noch so schön ist, auch auf Fußwegen hat das Rad erstmal nix zu suchen (außer man schiebt, oder es ist extra für den Radverkehr freigegeben). Ich fahr ja auch nicht mit dem Auto oder Motorrad durch die Fußgängerzone.
Und als Autofahrer der genauso zügig vorankommen möchte ist das natürlich schon doof, wenn da jetzt Omi und Opi oder die Familie mit Kinderfahrrad und Anhänger vor einem auf der Straße fährt. Die Straße ist eben nicht nur für die reine Abwicklung der Logistik da, sondern darf und soll auch für Ausflüge genutzt werden. Egal ob als Sonntagsfahrer mit dem Auto oder eben mit dem Rad. Und auch wenn der Radler da grade nur aus Freizeitvergnügen unterwegs ist, und der Autofahrer aus vermeintlich "wichtigeren" Gründen auf der Straße fährt, ergeben sich damit auch keine Vorrechte des Autofahres gegenüber dem Radfahrer. Autofahrer und Radfahrer sind beide Verkehrteilnehmer. Beide bewegen ein Verkehrsmittel im öffentlichen Raum! Ich wiederhole mich, aber man kann es nicht oft genug sagen.

Ja, das Fahrrad ist für manche Menschen nur ein Sportgerät, für andere eben nur ein Freizeitgerät. Aber egal ob wir jetzt selber auf dem Sattel oder im Auto sitzen müssen wir unsere Wahrnehmung davon erweitern! Das Rad ist Verkehrmittel. Als Radfahrer ist man Teilnehmer im öffentlichen Straßenverkehr mit allen Rechten und Pflichten. Und diese Rechte und Pflichten gelten auch dem Radler gegenüber. Ein Fahrrad ist nicht etwas, was ausnahmsweise mal auf der Straße unterwegs ist und was man deswegen auch mal schnell übersehen kann.

Fangt endlich an das Fahrrad als Verkehrsmittel zu sehen und auch als solches wahrzunehmen!
Vielleicht wird man dann nicht mehr so schnell "übersehen"...