Mittwoch, 23. Mai 2018

Food(t)loose

Mit diesem Titel ist nicht der Tanzfilm von 1984 mit Kevin Bacon und Lori Singer gemeint. Und erst recht nicht das Remake von 2011.
Vielmehr bieten meine Schwester und ich unter diesem Namen einen Kurs in ihrer Praxis an. In dem Kurs stellen die Teilnehmer und wir uns der Frage, was ein Fuß mit Ernährung zu tun hat.

Um es vorweg zu nehmen, es geht dabei nicht um Syndrome und weiterführende Erkrankungen wie sie z.B. als Folge von Diabetes auftreten können. Vielmehr geht es um die spannende Verbindung der Themen Ernährung und Bewegung.
Jeder Laufsportler und auch Wanderer wird bestätigen, dass lange Strecken mit leerem Bauch nicht wirklich Spaß machen. Aber nur wenn man weiter zurückblickt, erkennt man den tieferen Zusammenhang zwischen dem was wir essen und wie wir uns fortbewegen.

Der Ursprung des Menschen liegt irgendwo in Afrika. Doch bevor er sich in mehreren Wellen zu Fuß von dort aufgemacht hat um den Rest der Welt zu besiedeln waren einige Evolutionsschritte nötig. Denn der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Gorilla lebte vor etwa 9 Millionen Jahren noch überwiegend auf den Bäumen und bewegte sich durch Hangeln von Ast zu Ast fort.
Der Lebensraum dieses Vorfahren in der damaligen Warmzeit war durch dichte, zusammenhängende Regenwälder geprägt. Das üppige Nahrungsangebot bestand überwiegend aus Früchten. Alles an seiner Anatomie, von den Händen, über die langen Arme bis hin zu Kieferknochen und Zähnen war auf diese Lebensweise angepasst.

Vor etwa 7,2 bis 4,5 Millionen Jahren änderte sich das Klima. Ein verstärkter Temperaturrückgang am Ende des Miozän sorgte für einen Rückgang der Regenwälder und eine Ausbreitung von lichteren Waldgebieten. Das Nahrungsangebot an reifen Früchten schwand. Und für unsere baumbewohnenden Vorfahren wurde es zusehends schwieriger sich von Baum zu Baum zu bewegen. Mit der Zeit waren diejenigen im Vorteil, denen es leichter viel auch die größer werdenden Strecken zwischen den rettenden Bauminseln auf dem Boden zu überwinden und die ihr Nahrungsangebot um Blätter und Halme erweiterten. So gesehen hat die Geschichte unserer Vorfahren doch was mit dem Film Footloose zu tun, wo sich die Jugend mit ihrem Drang nach mehr Bewegung gegenüber den konservativen Kleinstadt-Einwohnern durchsetzt.

Aber erst vor etwa 4-2 Millionen Jahren haben sich unsere Vorfahren zu den ersten Hominiden entwickelt deren aufrechter Gang in fossilen Fußspuren eindeutig belegt sind. Durch den weiteren Temperaturrückgang mit verstärkter Trockenheit haben sich die einstigen Urwälder zu lichten Waldlandschaften entwickelt und Savannen immer weiter ausgebreitet. Unsere Vorfahren haben derweil nicht nur den aufrechten Gang recht gut gelernt um sich schnell und sicher in diesem Gelände zu bewegen. Sie haben auch ihre Speisekarte angepasst und verzehrten nun auch Wurzeln, Knollen, Samen und möglicherweise auch Nüsse.

Im Pleistozän, vor etwa 2,5 Millionen Jahren, als sich durch verstärkten Temperaturrückgang die Wüsten und Steppenlandschaften weiter ausgebreitet hatten, wurde der aufrechte Gang für unsere Vorfahren immer wichtiger. Knochen, Sehnen und Muskulatur veränderten sich über die Generationen hinweg derart, dass diese zweibeinige Fortbewegung sich auch in weiteren Aspekten gegenüber anderen Tieren von Vorteil zeigte. Die zweibeinige Fortbewegung ist energiesparender wie eine vierbeinige, verbraucht also weniger Kalorien und man kann größere Strecken überwinden. Zudem werden die Hände nicht länger zur Fortbewegung benötigt und können für andere Aufgaben, wie etwa zur Anfertigung und zur Nutzung von Werkzeugen verwendet werden. Damit kann man dann nicht nur besser nach Wurzeln graben. Lässt ein Raubtier Teile seiner Beute zurück, zum Beispiel die Knochen mit ihrem nährreichen Knochenmark, kann man sich so auch ohne Klauen und Reißzähne daran bedienen. Das so erweiterte und höherwertige Nahrungsangebot ermöglichte auch die Zunahme der Hirngröße.
Wer sich heutzutage mal anguckt, wieviel Strom ein Computer verschlingt kann sich gut vorstellen, dass etwas so leistungsstarkes wie unser Gehirn einiges an Energie benötigt. Auch wenn unser Gehirn, zumindest was den Energiebedarf betrifft, deutlich effizienter wie ein Computer funktioniert sind es doch bei uns zwischen 11 und 20 Prozent unseres gesamten Kalorienbedarfs.
Das sich so ein dicker Kopf in der Entwicklungssgeschichte als evolutionärer Vorteil zeigt ist ungewöhnlich. Vorher ging es doch hauptsächlich darum überhaupt irgendwie an Nahrung zu gelangen und durch die dafür notwendige Fortbewegung, möglichst wenig davon unnötig zu verbrauchen. Und dann fangen unsere Forfahren auf einmal an einen Großrechner durch die Gegend zu tragen. Das wirkt zunächst paradox. Aber dennoch hat sich dieser enorme Denkapparat durchgesetzt.

Und auch das hängt mit unserer Art der Fortbewegung zusammen. Etwa vor 1,9 Millionen Jahren war  unser Vorfahre homo erectus nicht länger der freundliche Baumbewohner wie seine und unsere Vorfahren. Dienten wir lange Zeit der Evolutionsgeschichte wohl hauptsächlich selber anderen Tieren als Abendessen, hatte sich das Blatt nun gewendet.
Homo erectus gilt als der erste Jäger in der menschlichen Geschichte. Und das 1,4 Millionen Jahre bevor die erste steinerne Speerspitze genutzt wurde und sogar 1,8 Millionen Jahre vor Erfindung von Pfeil und Bogen. Stellt Euch einfach mal vor, ihr hättet mit 16 Jahren den Führerschein gemacht, aber erst nach der Rente ein Auto bekommen. Da fragt man sich doch zu Recht, wie das in der ganzen Zeit dazwischen geklappt hat.
Zu verdanken hat das unser Vorfahre seinem einmaligen Körperbau der ihn zu einem perfekten Läufer machte und dem Hirn das ihm das abstrakte Denken und die soziale Zusammenarbeit in der Gruppe ermöglichte.
Sein Körper konnte sich länger in heißem Klima laufend fortbewegen wie der anderer Tiere. Der aufrechte Gang war nicht schnell, aber energiesparend. Die Konstruktion des Fußes aus Fußgewölbe, Bändern, Sehnen, Knochen etc. wirkte dabei wie eine Sprungfeder, die leistungsstärker war wie die Schaumstoffdämpfung moderner Laufschuhe. Die Schweißporen auf der Haut konnten den Körper runterkühlen ohne das er dafür stoppen musste. Unser Vorfahre musste ein Tier nur so lange hetzen, dass es vor Überhitzung irgendwann umkippte. Damit es sich das Tier nicht in den Schatten retten konnte koordinierte unser Vorfahre seine Aktion mit seinen Stammengenossen. Die Ausdauerjagd war geboren.

Seit etwa 190.000 Jahren ist nun der homo sapiens auf diesem Planeten zu Fuß unterwegs. Und bis ins letzte Jahrhundert wurde diese Ausdauerjagd zumindest von Einigen noch praktiziert. Die Geschichte des Menschen ist also zu großen Teilen auch die Geschichte von Läufern. Das wechselnde Nahrungsangebot hat unsere Vorfahren dazu gezwungen den aufrechten Gang zu lernen. Und der aufrechte Gang hat uns Zugang zu neuen Nahrungsquellen ermöglicht. Doch erst die Verbindung aus beidem ermöglichte uns den endgültigen Schritt das zu werden, was wir dank unserer Vorfahren heutzutage sind. Der perfekte Läufer.

Heutzutage schreitet die kulturelle Entwicklung schneller voran wie die evolutionäre Entwicklung. Das sorgt dafür, dass die Verbindung zwischen Fortbewegung und Ernährung scheinbar immer weniger an Bedeutung besitzt. Statt zu Jagen, reicht der Gang an den Kühlschrank. Oder sogar der Fingerdruck auf eine App um online eine Pizza zu bestellen. Und auch was wir essen ist nicht länger an Jahreszeiten oder regionale Verfügbarkeit geknüpft. Der Mensch ist ein unglaublich anpassungsfähiges Lebewesen. Nur zeigt sich mittlerweile, nicht zuletzt durch die wachsende Zahl an Zivilisationskrankheiten, dass wenn man diese Anpassungsfähigkeit strapaziert sich über kurz oder lang Probleme entwickeln können.

Welchen Einfluss die Ernährung und die Art und Weise unserer Bewegung aufeinander und auf uns haben ist ein spannendes und wichtiges Thema mit dem sich nicht nur Leistungssportler näher auseinandersetzen sollten.