Donnerstag, 31. Mai 2018

Ich war Läufer

Nein, moment mal. Das ist so nicht richtig. Ich laufe immer noch und sehe mich auch weiterhin als Läufer an.
Es müsste vielmehr heißen "Bisher war ich nur Läufer".
Aber auch das trifft es nicht. So klingt es als ob Läufer zu sein nicht ausreicht oder keine besondere Bedeutung hat. Das hat es aber (zumindest für mich). Es ist ein kleiner aber feiner Unterschied in der Wahrnehmung der eigenen Person ob man nun sagt "ich gehe Laufen" oder "Ich laufe gern" oder ob man von sich sagt "Ich bin Läufer". Damit ist die Tätigkeit des Laufens nicht mehr nur ein schmückendes Beiwerk, sozusagen ein netter kleiner Bonus, ein Add-on, oder ein Hobby unter vielen. Vielmehr ist Sie ein integraler Bestandteil der eigenen Persönlichkeit. In diesem Sinne müsste ich sagen:

Ich bin Läufer! Und bin bin Radler!

Ich bin schon recht früh mit dem Rad gefahren. Ich erinnere mich noch wie ich es gelernt habe, auf der Straße vor dem Haus meiner Eltern. Mein Vater hat nach und nach die Stützräder meines kleinen Kinderrades immer etwas höher gebogen. Dadurch wippte ich dann anfangs noch leicht von Seite zu Seite, lernte aber schnell das Rad so aufrecht zu fahren, dass die Stützräder den Boden nicht mehr berührten. Irgendwann hab ich sie dann gar nicht mehr gebraucht.
Seitdem besaß ich immer mindestens ein Fahrrad. Die knapp 10 km zur Schule habe ich damals zumindest im Sommer mit dem Rad zurückgelegt. Und auch später pendelte ich öfters mit dem Rad zur Arbeit. Ein Fahrrad löste das andere ab. Vom normalen Straßenrad, über das erste Mountainbike in der 80ern, ein für damalige Verhältnisse leichtes Trekkingrad aus Alu, BMX-Räder, ein flottes Bahnrad mit starrem Gang... Ich hatte schon so einige Gefährte unter meinem Hintern. Und auch wenn ich mich immer für die verschiedensten Räder und deren Möglichkeiten begeistern konnte fehlte irgendwie ein Teil des Puzzles. Bisher bin ich nur "Rad gefahren", oder "mit dem Rad gependelt".

Vor ein paar Monaten stolperte ich dann durch Zufall über einen alten Stahlrahmen. Für relativ wenig Geld wechselte er den Besitzer und begleitete mich mit nach Hause. Ein alter italienischer Rennradrahmen aus Stahl. Blau lackiert, am Sattelrohr die Worte "il grande ciclismo" und am Unterrohr unverkennbar "Cinelli".
Der Rahmen wurde gereinigt und poliert. Ich begab mich auf die Suche oder vielmehr Jagd nach den passenden Teilen. So ein Klassiker möchte keine modernen Carbonteile verbaut bekommen, ebensowenig wie einfache Plastik- oder Aluteile aus China. Mal ganz abgesehen davon, dass so ein alter Rahmen auch noch ganz andere Maße hat und moderne Komponenten größtenteils gar nicht passen. Für den Vorbau und den Lenker wurde ich bei Cinelli selber fündig. Der Radsatz, Bremsen und die komplette Schaltung stammt von Campagnolo. Ein Mix aus Record und Nuovo Record Gruppe und damit zum Teil älter als der Rahmen selber. Nur beim Sattel wollte ich nicht auf Italien setzen. Mein Popo mag Brooks und ein handgefertigter Brooks Team Professional in der Farbe "honey" ist jetzt auch kein Stilbruch an meinem alten Rennrad.
Und während ich mit dem Aufbau meines Klassikers beschäftigt war reifte in mir die Idee einer Radtour. Nicht einfach eine kurze Fahrt zur nächsten Eisdiele. Auch kein Ausflug übers Wochenende. Nein, eine richtige, mehrwöchige Tour. Quer durch Europa. Nur mein Rad und ich (und natürlich viel zu viel Krempel der irgendwie transportiert werden möchte).
Die ersten Probefahrten wurden gemacht. Einzelne Teile wurden ausgetauscht oder nachjustiert. Die erste mehrtägige Tour stand an. Und wieder wurde geschraubt. Die Tageskilometer wurden mehr und mehr. Und ohne es zu merken verbrachte ich teils mehr Zeit im Sattel als auf meinen Laufstrecken. (Wie clever das ist, wenn man noch das ein oder andere läuferische Jahresziel hat, steht auf einem anderen Blatt)
Das Verhältnis von mir zum Rad hatte sich geändert. Und mein Verhältnis zum Radfahren an sich hatte sich gewandelt.

Ich fuhr nicht länger Rad. Ich war Radler. Genauso wie ich Läufer bin. Und das ist gut so.